Thursday, December 24, 2015

Robert und Bertram (1939, Hans H. Zerlett)

Es ist immer noch das Jahr 2015, eine Woche noch. Und das 21. Jahrhundert ist bislang beinah wie im Flug an mir vorübergezogen. Im 21. Jahrhundert herrscht immer noch fast unbegrenzter Zugang zur Information. Es ist nunmehr gleichgültig, ob wir in der Nähe eines großartigen Archivs leben oder nicht. Das Internetz ist Klassenzimmer, Hör- und Lesesaal und auch Kino.
Das Konzept "Vorbehaltsfilm" wirkt in diesem Sinn als nicht nur unzeitgemäß, sondern auch sinnlos. Ich hatte eher in diesem Jahr die Schlagerklamotte gleichen Namens mit Willy Millowitsch und Vico Toriani gesehen und dabei habe ich gesehen, dass dies auch ein Nazifilm ist, ein antisemitisches Machwerk aus dem Jahre 1939. Ich hatte auch gelesen, dass dieser Film unter Verschluss gehalten wird und öfentlich nicht aufgeführt werden darf. Wie gesagt, eine sinnlose Maßnahme, denn dieser Film ist auf Youtube sowieso zugänglich.
Was ist also los mit diesem Film? Ist es ein subtiles Hetzstück oder sinnfreie Unterhaltung?
Zunächst: die Vorlage ist eine "Posse mit Gesängen und Tänzen in vier Abtheilungen" von Gustav Räder. Auch dieses Stück ist zugänglich, danke Google Books! Vor 20 Jahren wären diese "gesammelten komischen Theaterstücke" sicherlich nur vor Ort an einer großen Bibliothek zugänglich gewesen, aber in diesen Zeit ist es egal, wo man wohnt. Ich habe das Stück durchgeblättert, denn ich wollte wissen, ob das antisemitische bereits im Original vorhanden ist. Ja, ist es. Bei Räder ist Ipelmeyer ein ungebildeter Emporkömmling, etwa wie in Jacques Offenbachs Operette Monsieur Choufleuri restera chez lui. Es wäre vielleicht aufschlußreich zu wissen, wie dies von den Zeitgenossen rezipiert wurde. War der neureiche Jude ein Klischee in der volkstümlichen Literatur? Ob es wohl bereits eine solche Untersuchung gibt?
Nun ja, zurück zum Nazi-Lustspiel, dem einzigen antisemitischen Lustspiel aus der Zeit des NS-Regimes. Im Jahr 1939 war die jüdische Bevölkerung weitgehend ausgegrenzt, von der Ideologie erfolgreich als der Andere stilisiert worden, als Blutaussauger am Volkskörper. Dies war dem Zeit- und Volksgenossen seit 1933 eingeimpft worden. Das Manuskript braucht also dieses Klischee nicht weiter zu verbalisieren, da es sich als allgemein bekannt vorausgesetzt werden kann. Die Kristallnacht hatte sich vor weniger als einem Jahr nach der Erstaufführung dieses Films zugetragen. Ich denke, was uns heute als belanglos erscheint, muss dem damals zeitgenössischen Publikum als Affirmation vorgekommen sein. Vermutlich hat der Film damals eine eingehendere Wirkung gehabt, eben weil er sich als harmloses Lustspiel ohne Agitation gibt.
Allerdings ist Robert und Bertram auch ambivalent, denn die lustigen Vagabunden, sind arbeitsscheues Gesindel, kaum positive Helden der Nazi-Ideologie. Während sie hier entfliehen und schließlich an der Himmelspforte anklopfen, da ihnen auf Erden sowieso keine Gerechtigkeit widerfahren kann, werden sie bei Räder verhaftet und unter Jubel des Volkes abgeführt. Sie werden in diesem Film also nicht dem RAD zugeführt, sondern entziehen sich der Einverleibung in den gesunden Volkskörper. Wie ist nun das zu verstehen? Die Vagabunden sind eine Art Till Eulenspiegel, die durch Narreteien die Ordnung in Frage stellen, aber nie grundsätzlich ändern wollen, hier und da pieksen und als Hofnarren ein Ventil zum Luftablassen sind. Es ist auch erstaunlich, dass dem Juden Ipelmeyer sein widerrechtlich erschlichener Schmuck wieder ersetzt wird. Nicht wie bei Wagner "was ein Dieb stahl, das stiehlst du dem Dieb", sondern eine Wiederherstellung des status quo ante, wobei bloß das Schicksal so korrigiert wird, das ein Happy End möglich ist: Lenchen (bei Räder Rösel) kriegt ihren (deutschen) Michel - also auch hier ein Rückzug ins Private, keine innere Emigration, sondern ein possenhafter Rückblick, wie es denn vor hundert war.
Der einzige Zeitpunkt ist sehr indirekt: beim Durchblättern eine Zeitung wundern sich die beiden Vagabunden über die Zustände in der Welt des Jahres 1839 und stellen dann fest, dass in hundert Jahren alles ganz anders sein wird. In der Tat.
Natürlich dient der Film auf seine Weise der NS-Propaganda. Ich kann mir allerdings nur schwer vorstellen, dass er heute immer noch seine giftige Wirkung entfalten kann. Einige Dialoge sind nett, nicht geschliffen, aber doch hübsch. Als Film funktioniert ist er robustes Handwerk, nicht subtil, aber dann doch nett gemacht.
4/10

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